Die Tagesbegegnungsstätte und Beratungsstelle

 Die Tagesbegegnungsstätte und Beratungsstelle

Gegenstand dieser empirischen Untersuchung bildet eine von der Autorin selbst gewählte Tagesbegegnungsstätte und Beratungsstelle für psychisch kranke Menschen in Berlin, zu der wie bereits beschrieben, seit längerer Zeit persönlicher Kontakt besteht.

Die im Folgenden dargestellten Konzeptbausteine werden durch Gespräche mit den Mitarbeitern erhoben, da keine schriftliche Konzeption vorliegt.

Die Tagesbegegnungsstätte und Beratungsstelle

Der „Verein X" [52] wurde 1985 von Mitarbeitern des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Bezirksamtes Tempelhof gegründet. Er hat sich der Gesundheitspflege im ambulant-komplementären Bereich sowie der Beratung, Begleitung und Rehabilitierung psychisch beeinträchtigter Menschen verpflichtet. Der „Verein X" ist ein freier Träger und als solcher Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband.

Inzwischen gibt es mehrere Arbeitsbereiche: Die therapeutische Wohngemeinschaft, das therapeutische Einzelwohnen, das Betreuungshaus, das Appartementwohnen, die Tagesbegegnungsstätte und Beratungsstelle, eine Zuverdienstfirma sowie eine Cafeteria (als Integrationsbetrieb).

Im Weiteren wird ausschließlich auf den Arbeitsbereich der Tagesbegegnungsstätte und Beratungsstelle – im Folgenden TBB genannt – eingegangen.

Personalausstattung

Das Team der TBB besteht aus einem Psychologen (Wochenarbeitszeit: 40 Stunden) sowie zwei Sozialarbeiterinnen (Wochenarbeitszeit: 20 bzw. 30 Stunden). Hinzu kommen Praktikanten, die mindestens für eine Zeit von 6 Wochen, jedoch vorrangig von 20 Wochen, für die Einrichtung tätig sind. Honorarkräfte können von der Einrichtung nicht beschäftigt werden.

Kooperation und Vernetzung

Als Beratungsstelle übernimmt die TBB auch präventiv Clearingsfunktionen und Einzelberatungen für Menschen mit psychosozialen Schwierigkeiten. Kontakte werden über den Sozialpsychiatrischen Dienst des Bezirksamtes Schöneberg-Tempelhof, die psychiatrisch-neurologischen Abteilungen oder die Tagesklinik des Wenckebach-Krankenhauses sowie über behandelnde Haus- und Fachärzte vermittelt.

Organisatorischer Rahmen

Die TBB war ursprünglich als Kontakt- und Beratungsstelle (KBS) für den südlichen Bereich des Bezirkes Schöneberg-Tempelhof geplant; d. h. mit Schwerpunkt auf offenen niedrigschwelligen Angeboten. Gleichzeitig war außerdem eine Beschäftigungstagesstätte mit Tagessatzfinanzierung geplant. Die Realität hat jedoch gezeigt, dass dies zu einem Großteil an den Bedürfnissen des Tempelhofer Klientels vorbeizielte, da ein hoher Prozentsatz der Besucher Erwerbsunfähigkeits- oder andere Renten bezieht und sie damit zu Selbstzahlern geworden wären.

So entwickelte sich aus den beiden Ideen das Konstrukt einer Tagesbegegnungsstätte und Beratungsstelle für psychisch beeinträchtigte Menschen. Die Finanzierung der Einrichtung erfolgt durch Zuwendungen der Berliner Gesundheitsbehörde.

Die TBB versteht sich als gemeindenahes sozialpsychiatrisches Zentrum für eine ambulante Betreuung und Beratung von Menschen mit psychischen Störungen sowie deren Angehörigen, insbesondere im südlichen Teil des Bezirkes Schöneberg-Tempelhof.

Die TBB ist an ihren „Strukturtagen" – montags und freitags – jeweils von 9:00 Uhr bis 16:00 Uhr geöffnet. In einer „Morgenrunde" wird der organisatorische Tagesablauf besprochen und darüber hinaus bleibt für die Besucher Raum für Anregungen, Kritik und Ähnliches. Mittwochs lädt die TBB in der Zeit von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr zu einem „offenen" Nachmittag ein, wobei einzelne Besucher sich mit viel Engagement an der Gestaltung einer „Cafeteria" mit warmem Imbiss beteiligen.

An allen drei Tagen – Montag, Mittwoch und Freitag – besteht für die Besucher die Möglichkeit, Gruppenangebote wahrzunehmen. Das angebotene Spektrum ist vielfältig und reicht von Entspannung, Gymnastik, Bewegung, kreativem Gestalten, therapeutischem Malen bis hin zu einer Musikgruppe.

Die Dienstage und Donnerstage bleiben vor allem Einzelgesprächen mit den Mitarbeitern sowie der Betroffenen- und Angehörigen-gesprächsgruppe vorbehalten. In den einzelnen Gesprächsgruppen werden Probleme besprochen, Erfahrungen ausgetauscht oder neue Handlungskompetenzen erlernt. In Abständen finden donnerstags oder auch an den „Strukturtagen" Außenaktivitäten, wie z. B. Dampferfahrten oder Kinobesuche, statt.

Klientenprofil

Die TBB wird durchschnittlich von ca. 50 Frauen und Männern besucht. Meist sind es Menschen mit lebensbegleitenden psychischen Erkrankungen (Schizophrenien, Depressionen, Angsterkrankungen).

Die Besucher gehen größtenteils keiner Erwerbstätigkeit nach. Sie leben vorrangig von Erwerbsunfähigkeitsrente und Sozialhilfe. Sie sind aufgrund ihrer Beeinträchtigungen nicht bzw. nicht mehr in der Lage, sich am ersten Arbeitsmarkt zu behaupten. Einige von ihnen arbeiten jedoch in dem zum Verein gehörigen Zuverdienstprojekt.

Während die meisten Besucher allein in ihren eigenen Wohnungen leben, wohnen andere noch bei ihren Familien bzw. leben im Betreuungshaus, im Appartementwohnen oder im Betreuten Einzelwohnen des „Vereins X".

Einige Besucher sind auch familiär gut eingebunden. Für einen großen Teil der Betroffenen ist die Gemeinschaft innerhalb der TBB eine Art Familie. Man trifft sich regelmäßig, tauscht sich aus, unternimmt etwas zusammen und findet Unterstützung. Es gibt auch eine Gruppe von Besuchern, die außerhalb der Einrichtung die Kontakte untereinander weiter nutzen und pflegen.

Ziele & Methoden des sozialarbeiterischen Handelns

Das Arbeitskonzept der TBB ist vor allem auf eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Arbeit mit chronisch psychisch kranken bzw. beeinträchtigten Menschen und deren Angehörige ausgerichtet.

Das sozialpsychiatrische Handeln ist in dieser Einrichtung stets als eine Form der Krisenintervention zu sehen; die Hilfen zum Schutz, zur Entlastung, zur Unterstützung und zur Entwicklung über eine längere Zeit erfordern.
Die Entwicklung eines konsequent sozialtherapeutischen Arbeitsansatzes betont die Bedeutung der sozialen Beziehungen in der Rehabilitierung Betroffener und fördert auf dessen Basis das Selbstbild sowie individuell und ressourcenorientiert die sozialen und emotionalen Fähigkeiten jedes Einzelnen.

Ein spezifisch sozialtherapeutisches Milieu, Modell-Lernen auf der Handlungsebene sowie die Betonung von Kontinuität, Verlässlichkeit und Vertrauen sowohl zwischen Mitarbeitern und Besuchern als auch zwischen Besuchern untereinander werden konzeptionell umgesetzt; um langfristig eine möglichst optimale soziale und psychische Integration als Lebensqualität zu sichern.

Psychische Erkrankungen werden von den Mitarbeitern als Beeinträchtigungen betrachtet, die multifaktoriell verursacht und bedingt sind und einen variablen Verlauf haben. Das Anpassungs- und das Vulnerabilitätsmodell bieten dabei hilfreiche Erklärungen und der salutogenetische Denkansatzkann Bewältigungsstrategien aufzeigen.

Ein gleichberechtigter Dialog mit den psychisch und sozial beeinträchtigten Menschen als Erfahrenen sowie deren Angehörigen und den Mitarbeitern als professionellen Helfern wird in der Gruppen – und Einzelarbeit gesucht.

Die psychischen Erkrankungen der Besucher werden von den Mitarbeitern als Lösungsmöglichkeit der persönlichen Realitätsbewältigung angesehen. So setzt man den Schwerpunkt der Arbeit in Angeboten der Wahrnehmung und Förderung gesunder Lebensanteile. Im langjährigen Dialog mit den psychiatrie-erfahrenen Menschen wurde ein bedarfs- und bedürfnisgerechtes Arbeitskonzept entwickelt, das sich an den Grundgedanken der Soteria orientiert.

[52] Aus datenschutzrechtlichen Gründen wird der Name des Vereins nicht genannt und im Folgenden als „Verein X" bezeichnet. Der Autorin ist der Name der Einrichtung bekannt.

Über die Autorin/den Autor
Antje Henkel schloss 2005 Ihr Diplom-Studium Sozialarbeit/Sozialpädagogik an der Evangelischen Fachhochschule Berlin ab.

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