Bedeutung der Ergebnisse für die sozialarbeiterische Praxis
der Gruppenkonzepte sind insbesondere Suchtberatungsstellen, Einrichtungen der Jugendhilfe sowie Erziehungs- und Familien-beratungsstellen geeignet. Im Rahmen der qualitativen Studie wurden drei Experten zur sozialen Gruppenarbeit mit Kindern und/oder Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien befragt. Im Vorangegangenen wurden anhand der Thesen einige Aspekte zum Thema aufgezeigt, wobei sich aus den Interviews weitere Problemstellungen ergeben haben. Wichtig und bedeutsam für die vorliegende Arbeit sind die unterschiedlichen Kritikpunkte der Experten. Die Sozialpädagogin aus Interview 1 äußert Bedenken hinsichtlich der mangelnden Kontinuität der Gruppenzusammensetzungen sowie der Intensität des Kontaktes zu den Kindern. Sie betont die Notwendigkeit einer konstanten Gruppe, um die in der Konzeption verankerten Ziele umsetzen zu können. Auch werden an dieser Stelle die ungünstigen, insbesondere zeitlichen Rahmbedingungen als hinderlich dargestellt. Ebenfalls bemängelt die Expertin 2 die fehlende Struktur für ein solches Gruppenangebot. Es verfestigt sich der Eindruck, dass die Rahmen-bedingungen für die Arbeit mit der Zielgruppe nicht gegeben sind.
Die Bereitschaft, sich für Kinder und Jugendliche aus suchtbelasteten Familien einzusetzen, darf nicht ausschließlich von dem Engagement einzelner Mitarbeiter abhängig bleiben. Grundsätzlich bedarf es also eines gemeinsamen konzeptionellen Handlungsrahmens und geregelten Zuständigkeiten. An dem Planungsprozess müssen möglichst viele professionelle Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Bereichen, wie Sucht- und Jugendhilfe, zusammentreffen und mitwirken. Die Angebote müssen konzeptionell in die Institution integriert werden. Zur UmsetzungWeiterhin sind gerade im Hinblick auf die Finanzierung der Gruppenangebote einheitliche Finanzierungs- und Gesetzesgrundlagen erforderlich. Denn auch Experte 3 stellt die Finanzierungsunsicherheit der zweiten Gruppenleiterstelle als problematisch dar. Auf bundes-, landes- und kreispolitischer Ebene muss das Bewusstsein für den Bedarf und die Effektivität dieser Arbeit geschärft und damit die Bereitstellung ausreichender finanzieller Mittel langfristig sichergestellt werden.
Um die Effektivität der Gruppenarbeit mit Kindern aus alkoholbelasteten Familien zu maximieren, muss künftig genau überprüft werden, welche Parameter für den Erfolg solcher Angebote verantwortlich sind und ob sie tatsächlich wirkungsvoll sind.
Erwähnenswert erscheint in diesem Zusammenhang ein Diskussionsbeitrag im Rahmen der ersten Informationsveranstaltung des im Frühjahr 2004 gegründeten Verein Nacoa am 6. Dezember 2004 in Berlin. Gegenwärtig wurden folgende Aspekte kritisch betrachtet:
- die geringe Gruppenstärke
- die enormen Altersdifferenzen der Teilnehmer
- die fehlende finanzielle Förderung
- sowie hinsichtlich der begleiteten Selbsthilfegruppen das mangelnde Ansehen von Selbsthilfegruppen im Helfersystem
(mündliche Quelle vom 6. Dezember 2004: Diskussionsteilnehmer, Nacoa-Informationsveranstaltung, Berlin)
Es gilt zu überprüfen ob z. B. mit dem Modell der begleiteten Selbsthilfe die Zielgruppe erreicht werden kann oder ob dies eher kontraproduktiv wirkt. Es gilt zu diskutieren ob und welche der bestehenden Hilfen geeignet sind, um auf die spezifischen Probleme der Kinder aus alkoholbelasteten Familien eingehen zu können, ohne diese z. B. zu überfordern oder zusätzlich zu belasten. Auch der interviewte Experte aus Rheinland-Pfalz deutet an, dass nicht alle Kinder für die speziellen Gruppenangebote geeignet sind.
Weiterhin zeigen die Ergebnisse der Interviews, dass insbesondere im Zugang zu den Kindern Schwierigkeiten liegen. Die befragte Person aus Interview 2 betont, dass trotz umfangreicher Öffentlichkeitsarbeit nicht genügend Kinder die Selbsthilfegruppe besuchen und das Angebot aus diesem Grunde nicht weiter fortgeführt werden kann. Als Gründe für das Scheitern benennt sie u. a., dass das Thema „Kinder von suchtkranken Eltern" noch immer ein Tabuthema in der Bevölkerung darstellt. Fest steht, dass diese Problematik bislang in der Öffentlichkeit, aber auch im sozialen Hilfesystem wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dringend erforderlich ist ein Umdenk- und Sensibilisierungsprozess. Im professionellen Helfersystem bedeutet dies Kompetenzförderung der Mitarbeiter in den Institutionen der Suchthilfe und Jugendhilfe, Kompetenzförderung der Lehrer, Kinderärzte und anderer Fachleute im sozialen und medizinischen Bereich, um schon frühzeitig, gefährdete Kinder und Jugendliche zu erkennen und ihnen gezielte Hilfe anzubieten. Wichtige Bausteine zur Vermittlung von Fachwissen sind neben gezielten Fort- und Weiterbildungsangeboten, Fachvorträge, Seminare und Workshops zum Thema. Zur Erreichung einer höheren Sensibilität sowie zur Enttabuisierung des Themas „familiärer Alkoholismus" könnten Informationsveranstaltungen für Kinder, Jugendliche, Eltern und ferner für Pflege- und Adoptiveltern Wirksamkeit zeigen. Zur Erleichterung des Zugangs zu entsprechenden Hilfsangeboten bedarf es neben einer umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit, welche über Behandlungs- und Betreuungsmöglichkeiten informiert und berät, ebenso niedrigschwelliger und aufsuchender Formen von Hilfe.
Ferner stellen suchtpräventive Maßnahmen in Kindergärten und Schulen einen bedeutungsvollen Beitrag dar. Zur Suchtprävention existieren bereits erste Arbeitsmaterialien wie z. B. das Heft „Alles total geheim. Kinder aus Familien mit Suchtproblemen"1 und „Mäxchen trau dich! Arbeitsmaterialien zur Suchtvorbeugung im Kindergarten"2.
Da aufgrund der finanzpolitischen Lage der Bundesrepublik Deutschland nicht davon auszugehen ist, dass zukünftig eigens Stellen für die Arbeit mit Kindern aus suchtbelasteten Familien eingerichtet werden, müssen die vorhandenen Ressourcen der beteiligten Träger gebündelt werden. Der Ausbau von vernetzenden Tätigkeiten kann zu einer gemeinschaftlichen Arbeitsbasis beitragen. Zur Verbesserung der Zusammenarbeit von Institutionen und Einrichtungen sind regelmäßig stattfindende Gremien und die Bildung von Arbeitsgruppen und -kreisen denkbar. Aufgrund der unterschiedlichen Kompetenzen und Erfahrungen der verschiedenen Berufsgruppen entstehen neue Sicht- und Handlungsweisen. Es existieren Ansätze, die erkennen lassen, dass kooperative und vernetzte Formen der Zusammenarbeit zu einer effizienten Planung und Gestaltung der Angebote für die Zielgruppe führen. Derzeit existierende Modellprojekte wie in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind hier wegweisend.
Abschließend lässt sich sagen, dass die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen aus alkoholbelasteten Familien eine besondere Herausforderung an die sozialarbeiterische Praxis darstellt. Dringend erforderlich ist es, mehr Betreuungsangebote speziell für diese Zielgruppe zu schaffen, um Nachfrage und Angebot in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen. Neben der Gestaltung und Durchführung der Gruppenarbeit ist insbesondere in der Kooperations- und Vernetzungsarbeit eine Aufgabe für Sozialarbeiter und Sozialpädagogen zu sehen. Darüber hinaus nehmen Multiplikatoren- und Öffentlichkeitsarbeit eine bedeutende Stellung ein.
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- Erstellt am 01.02.2005
- Geschrieben von Alexandra May