Sandwesten bei ADHS-Diagnose kein Ersatz für angemessene Behandlung

Die Konferenz ADHS warnt vor einem regulären Einsatz von Sandwesten bei Kindern mit „ADHS”-Diagnose. Dies kann von den eigentlichen Schwierigkeiten ablenken und die betroffenen Kinder weiter stigmatisieren. Kinderärzte fordern, dass Sandwesten keine nachhaltige Behandlung ersetzen dürfen. Dem schließt sich die Konferenz ADHS an.

Unruhigen Kindern in Schulen werden sandgefüllte, kilogrammschwere Westen angezogen

Immer häufiger werden unruhigen Kindern in Schulen sandgefüllte, kilogrammschwere Westen angezogen, um über den physischen Druck eine Beruhigung des Verhaltens zu bewirken. Belastbare Forschungsergebnisse zu Wirkungsweise und Nutzen fehlen allerdings noch. Zugleich stellt sich die Frage nach unerwünschten gesundheitlichen Wirkungen bei den ab siebenjährigen Kindern, etwa einer Beeinträchtigung der Atmung oder einer zusätzlichen Belastung der Wirbelsäule.

Kinder mit einer „ADHS”-Diagnose, die nicht aus eigenem Antrieb eine solche Weste tragen, sind sichtbar als „anders” markiert und werden so erneut stigmatisiert. Diese Erfahrung kann für die Kinder verheerend und beschämend sein. Statt sie gleichwertig zu integrieren, werden sie noch mehr ausgegrenzt.

Derartige Interventionen setzen auf der falschen Überzeugung auf, man habe es mit neurobiologisch kranken Kindern zu tun, die irgendeiner medizinischen, pharmakologischen oder anderen symptomorientierten Behandlung bedürfen. Das ist aber keine angemessene (heil)pädagogische Reaktion auf unruhiges kindliches Verhalten.

Für die Konferenz ADHS ist schon die Vergabe der Diagnose „ADHS” ein folgenschwerer Fehler, weil sie verschiedenste Kinder über einen Kamm schert und kein anderes Verhaltensverständnis zulässt als ein mechanistisch-neurobiologisches. Die angeblich biologisch-genetische „Krankheit ADHS” ist ein Konstrukt, das nichts erklärt. Im Gegenteil: die „ADHS”-Diagnose ersetzt die persönliche, einfühlende Betrachtung des Kindes im Kontext seiner je individuellen Lebensbedingungen. Unruhe ist keine biologische Krankheit, sondern die Antwort eines fühlenden Menschenwesens auf eine innere und äußere Situation.

Die Konferenz ADHS fordert strikte Zurückhaltung in der Anwendung der Sandwesten, bis sicheres Wissen zu Nutzen und Risiken vorliegt. Diese können nur in individuell begleiteten (heil)pädagogischen Settings vielleicht ein kreatives Hilfsmittel für die veränderte Selbstwahrnehmung und Selbstregulierung betroffener Kinder sein, aber keine Verhaltensplombe im Unterricht.
Schulen sollten sich der individuellen Bedürfnisvielfalt von Kindern jenseits von Diagnosen zuwenden. Es gibt reichhaltige pädagogische Mittel, damit sich auch unruhige Kinder im Schulumfeld wohl fühlen.

Die wichtigsten Fragen bei allen Maßnahmen sollten sein: Führen sie zu mehr Wertschätzung, gesteigertem Wohlbefinden und höherer Aufmerksamkeit? Sind sie individuell? Wirken sie in der Gemeinschaft trennend oder verbindend? Sind sie absolut selbstbestimmt? Nur so kann Stigmatisierung vermieden werden.

Aus einer Kinderrechtsperspektive ist dies und das mitfühlende Verstehen ohne diagnostischen Engblick ein relevanter Faktor zur Bewahrung der Würde der Kinder in schulischen Settings.

Quelle: Konferenz ADHS

Die Konferenz ADHS ist ein Zusammenschluss von namhaften Wissenschaftlern aus verschiedenen Disziplinen,
die sich für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema ADHS einsetzt.

Für Fragen steht zur Verfügung:
Pascal Rudin,
Generalsekretär der Konferenz ADHS und
Repräsentant an den Vereinten Nationen für Kinderrechte
pascal.rudin@konferenz-adhs.org

Konferenz ADHS
c/o Freies Bildungswerk Rheinland
Luxemburger Straße 190
50937 Köln
www.konferenz-adhs.org

Über die Autorin/den Autor
Marcel Saft ist freiberuflicher Dipl.-Technikredakteur (FH).

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