Vorstellung des Kindes

Vorstellung des Kindes

Steckbrief des Kindes

Mein Einzelförderkind Bernd (Name geändert) war zu Beginn meiner heilpädagogischen Einzelförderung 4;5 Jahren alt. Er ist kurzsichtig und trägt eine Brille. Bernd hat die Statur eines Dreijährigen. Er wirkt sehr zart und hat blondes, dünnes Haar. Beim ersten Elterngespräch erhielt ich wichtige Informationen über seine Anamnese, die ich nachfolgend kurz zusammenfasse:
Als Bernd geboren wurde, stellten die Ärzte bei ihm eine Nephrozirrhose (Schrumpfniere) fest. Er lag deshalb 2 Wochen im Krankenhaus. Seine zweite Niere war jedoch gesund. Die Mutter war immer sehr besorgt, wenn Bernd krank wurde. Eine weitere Besonderheit wegen der Anamnese war, dass Bernd erst nach 12 Monaten krabbeln konnte, mit 15 Monaten lief er ohne Hilfe. Dies könnte möglicherweise eine Auswirkung auf die Raum-Lage-Wahrnehmung gehabt haben. Mit 1 Jahr sprach Bernd seine ersten Worte. Als Bernd 1;3 Jahre alt war, kam seine Mutter wegen eines schweren Unfalls ins Krankenhaus. Er sah seine Mutter damals mehrere Wochen lang nicht. Dies führte wahrscheinlich zum Sprachabbruch, was auch die Logopädin vermutet. Mit 2;9 Jahren bekam Bernd das erste Mal logopädische Hilfe, da er kein einziges Wort sprach.

Bernds Familie wohnt in einem Einfamilienhaus. Sein Vater ist Gärtner und ehrenamtlich tätig. Bernds Mutter hat einen Halbtagsjob und ist daher die meiste Zeit für die Erziehung der Kinder verantwortlich. In der Familie sind alle katholischen Glaubens, Bernd besucht jeden Sonntag die Kirche. Er ist das dritte Kind der Familie G. Seine beiden Geschwister sind 10 und 14 Jahre alt. Aufgrund des großen Altersunterschieds hat er wenig Kontakt zu seinen Geschwistern und muss sich des öfteren behaupten. Bei seinem mittleren Bruder wurde von einem Kinderarzt ADHS diagnostiziert, weshalb der Bruder medikamentös versorgt wird.

Seine Brüder ahmten Bernd manchmal nach, wenn er Wörter verdrehte. Dies war nicht förderlich für seine Sprachentwicklung. Die Mutter kannte zudem keinerlei Fingerspiele, Abzählreime, Sprachspiele oder Kinderlieder, für Bernds Sprachentwicklung wären diese jedoch wichtig.
In Gesprächen mit der Mutter und der Gruppenleiterin stellte ich fest, dass Bernd mit sehr viel Liebe verwöhnt, jedoch wenig gefördert wurde und die Mutter mit der Erziehung der Kinder überfordert war. Grenzen zu setzen fiel der Mutter schwer. Dies habe ich während der Beobachtungszeit festgestellt, die Gruppenleiterin bestätigte es. Mir fiel in diesem Zusammenhang auf, dass Bernd zu seiner Mutter ein unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten zeigte; er klammerte sich sehr an seine Mutter, wollte auf dem Arm genommen werden und brauchte dann einige Zeit, um ins Spiel zu finden. In der Hofzeit spielte er gar nicht, sondern wartete, bis seine Mutter ihn abholte. Außerhalb des Kindergartens spielte Bernd die meiste Zeit allein im Hof des Einfamilienhauses. Manchmal bekam er Besuch von einer Freundin, mit der er auch im Kindergarten spielte. Zirka 1 Stunde sah er abends mit seinen Brüdern fern.

Verhalten des Kindes in der Kindertagesstätte

Bernd besucht den Kindergarten seit er 3 Jahre alt ist. Die Erzieherinnen beschrieben ihn als einen ruhigen Jungen, der sehr verunsichert ist und schnell aufgibt. Sie erlebten ihn in seiner Gesamtentwicklung als entwicklungsverzögert und betonen besonders die Sprachverzögerung, seine Bindung zur Mutter und sein Spielverhalten. Meine Frage, ob sie sich schon einmal mit einer Logopädin in Verbindung gesetzt hätten, um Informationen über sein Sprachentwicklung zu bekommen, verneinten sie.

Während der Beobachtungszeit fiel mir an Bernd außerdem auf, dass es sich im Kindergarten eher zurückzog. Er war fixiert auf ein Mädchen, nahm keinen Kontakt zu anderen Kindern auf. Er lachte jedoch sehr viel und ging offen auf Erwachsene zu. Hier offenbarte sich eine starke Fixierung auf Erwachsene. Bei Beschäftigungsangeboten zeigte er wenig Selbstsicherheit und brauchte viel Anerkennung und Lob. Malen mochte er gar nicht, er befand sich noch in der Kritzelphase. Des weiteren fiel mir auf, dass er Farben kaum unterscheiden konnte. Dies wurde bei dem Spiel Colorama deutlich. In diesem Spiel werden Farben und Formen zugeordnet. Probleme hatte er ebenso bei handlungsorientierten Aufgaben und beim Bilden von Reihenfolgen. Auffallend war sein Spielverhalten, insbesondere das Rollenspiel, das bei ihm nicht altersentsprechend entwickelt war. Durch seine Sprachentwicklungsverzögerung wurde er zudem schlecht verstanden, was er auch spürte. Ich habe den Eindruck, dass er insgesamt wenig spricht, wenn mehrere Kinder in einem Raum sind.

Bernd interessierte sich für Puppenspiele, Bilderbücher, Singen, Perlen auffädeln, Puzzles und Kooperationsspiele. Beim Puzzlen verwechselte er oft oben und unten, da seine Raumlage noch nicht altersgerecht entwickelt waren. Selbstständig war er hingegen bei praktischen Tätigkeiten, z. B. dem An- und Auskleiden, dem Toilettegang, dem Essen und dem Aufräumen.

Behandlungsanlass

Besonders auffallend waren Bernds Sprachentwicklungsverzögerung sowie sein kleinkindhaftes Rollenspiel. Er befand sich hier noch auf der Stufe des Funktionsspiels, d. h. es fanden keine Handlungen statt. Nachahmungsleistungen waren nicht zu beobachten. Dies sah ich auch als Ursache dafür, dass er nicht mit anderen Kindern zusammen spielte. Im Freispiel sowie in Beschäftigungsangeboten bemerkte ich, dass er Probleme hatte bei
handlungsorientierten Tätigkeiten. Er konnte Zusammenhänge nur sehr schwierig erkennen, konnte keine Handlung planen und gab schnell auf, wenn er nicht folgen konnte. Von der psychischen Seite her fielen mir sein geringes Selbstbewusstsein und sein unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten auf. Während meiner Beobachtungszeit war mir der Junge in seiner insgesamt verzögerten Gesamtentwicklung aufgefallen. Die Erzieherinnen unterstützten die Möglichkeit, eine heilpädagogische Einzelförderung durchzuführen.

Über die Autorin/den Autor
Diana Saft ist staatlich anerkannte Heilpädagogin und Heilerziehungspflegerin. Sie sammelte bisher Erfahrungen in einem Seniorenheim, in einem Wohnheim für Menschen mit Behinderungen, in einem integrativen Kindergarten und in einem deutschen Kindergarten in den USA.

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