Möglichkeiten und Grenzen der integrativen Erwachsenenbildung

Möglichkeiten und Grenzen der integrativen Erwachsenenbildung

Knust Potter (1993) meint das „Normalisierte Erwachsenenbildung heißt, dass Bildungskurse primär in allgemeinen Erwachsenenbildungseinrichtungen stattfinden und nicht ausschließlich zielgruppenorientiert organisiert werden. Um Aussonderung entgegenzuwirken, sollten Chancen der Integration in die öffentlich ausgeschriebenen, allgemeinen Erwachsenenbildungsangeboten geschaffen werden." (zitiert in Lindmeier; Ryffel; Skelton 2000: 137).
Erste empirische Studien zeigen jedoch, dass die Bildungsveranstaltungen für Menschen mit geistiger Behinderung aktuell zu einem sehr hohen Prozentsatz in Einrichtungen der Behindertenhilfe stattfinden und nur ein geringer Anteil durch Institutionen der allgemeinen Erwachsenenbildung abgedeckt wird. (vgl. Theunissen 2003: 202). Hier zeigt sich, dass in der Praxis trotz aller Bestrebungen das Separationsmodell derzeit vorherrscht und zielgruppenspezifische separate Kursangebote nach wie vor ein deutliches Übergewicht am Gesamtangebot der Kurse haben. Autoren wie Georg Theunissen (2003), Christian und Bettina Lindmeier, Gaby Ryffel und Rick Skelton (2000) betonen die Gefahr und derzeitige Tendenz in zur Herausbildung einer „Sonder-Andragogik" (Sondererwachsenenbildung), welche nicht konform mit Normalisierungsprinzip ist.

Anders als in der Phase der Zielgruppenarbeit werden in der jetzigen Phase der integrativen Erwachsenenbildung die Bildungsmöglichkeiten und -interessen behinderter Menschen in der allgemeine Erwachsenenpädagogik kaum beachtet. Begründen lässt sich dies möglicherweise damit, dass die Art der Verschiedenheit gesellschaftlich weniger von Interesse ist als z. B. bei Unterschiedlichkeiten der Kulturen. Behinderungen lösen bei nichtbehinderten Menschen Differenz-erfahrungen aus, die nicht zur gewünschten Perspektivenverschränkung führen –da sie nicht als interessant und relevant für die eigene Identitätsentwicklung angesehen werden- sondern zu Aus- und Abgrenzung (vgl. Lindmeier 2000: 9 f). Ein weiterer Grund für das Desinteresse der allgemeinen Erwachsenenbildung liegt in der Tatsache begründet, dass die Institutionen bei der Angebotsplanung verstärkt auf die Zahlungskräftigkeit ihrer Teilnehmer achten müssen. Diese Markt- und Kundenorientierung hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass Zielgruppen-angebote für Menschen mit Behinderung in der Regelerwachsenenbildung nicht weiter ausgebaut wurden (vgl. Lindmeier 2000: 9 f).

Laut Christian Lindmeier (2000: 14 ff) zeigt die Erfahrung in Kursen für Behinderte und Nichtbehinderte, dass so genannte Nichtbehinderte nur in Ausnahmefällen zu einer Teilnahme an solchen Kursen interessiert sind. Gründe für die Ablehnung sind möglicherweise die Kontaktscheue zwischen Menschen mit und ohne Behinderung, der Lernort (meist Behinderteneinrichtungen) sowie Befürchtungen hinsichtlich des Anspruchsniveaus der Bildungsangebote. Gemeinsames Lernen von behinderten und nichtbehinderten Menschen ist daher effektiver, wenn die behinderten Menschen an regulären Weiterbildungs-veranstaltungen teilnehmen. Dies ist sicher für lernbehinderte bzw. körperlich beeinträchtigte Menschen teilweise möglich, für Menschen mit schwerer geistiger Behinderung ist dies jedoch nicht realisierbar. Sprachliche Barrieren und Verständigungsprobleme stellen die größte methodische Herausforderung für den Kursleiter dar. Insbesondere die verschiedenartigen biographische und milieuspezifische Erfahrungen und die unterschiedliche Deutungsmuster erschweren das gemeinsame Lernen.

Die integrative Erwachsenenbildung ist ein wichtiges Instrument zur Förderung sozialer Integration und der Umsetzung des Normalisierungsprinzips. Aber auch das Separationsmodell hat aufgrund nachfolgender Aspekte seine Berechtigung. Schwellenängste, welche geistig behinderte Teilnehmer oftmals gegenüber Angeboten der allgemeinen Bildungsstätte haben, können durch separate Kurse, die in einem geschützten Rahmen stattfinden überwunden werden. Auch ein erster Austausch und die Kontaktaufnahme mit anderen behinderten Menschen kann so ermöglicht werden. Zielgruppenarbeit führt nicht zwingend zur Homogenisierung von Lerngruppen und zu deren Isolation, sondern kann im Sinne eines sozialen
Schonraums notwendig sein, um sozial benachteiligte und bildungsungewohnte Lerngruppen dazu anzuregen durchsetzungsfähiger zu werden, um sich dann in heterogenen Gruppen behaupten zu können (vgl. Lindmeier 2000: 8, 17). Die separaten Kurse haben an dieser Stelle Ersatzfunktion und sollen auf Angebote der Kooperations- und Zielgruppenmodelle und letztlich auf das Integrationsmodell hinwirken. Die räumliche Integration gilt hier als erster Schritt für die spätere Teilnahme an einem integrativen Kurs. Separative Angebote können für die einzelnen Teilnehmer und Lebensphasen die geeignete Lernumgebung bieten (vgl. Lindmeier 2000: 16). Insbesondere schwer geistig behinderte Menschen benötigen spezielle Hilfen und Rahmenbedingungen, die in integrativen Kursen derzeit nicht gewährleistet werden können. Gruppenspezifische Interessen und Kursthemen mit starken Bezug auf die Behinderung (z. B. mit Themen: Wie vertrete ich mich selbst) sowie der Erwerb von Kompetenzen (z. B. Mobilität, Unabhängigkeit) sind für integrative Kurse nicht von Bedeutung. An dieser Stelle ist die Durchführung des Kurses im Rahmen des Separations- und Kooperationsmodells durchaus berechtigt und pädagogisch sinnvoll. Entscheidend ist daher der verantwortungsbewusste Umgang mit den separaten, kooperativen und integrativen Bildungsangeboten, die je nach Möglichkeiten und Interessen des einzelnen Teilnehmers zur Verfügung gestellt werden sollten. Es geht daher nicht um die Abschaffung aller separater Angebote sondern um die Stärkung integrativer Erwachsenenbildung als regulative Idee:
„Nicht Integration, sonder Separation bedarf der Begründung." (Lindmeier 2000:16). Michael Galle-Bammes1 (2000: 21) bemerkt zu dem Thema, dass „... die Bildungsbenachteiligung behinderter Menschen noch derart ausgeprägt, dass es zunächst darum gehen sollte, behinderte Menschen an Weiterbildungsangeboten partizipieren zu lassen. Die Maximalforderung nach ausschließlich integrativen Angeboten ist angesichts des vielerorts noch vorhandenen Bildungsnotstandes fehl am Platz und bremst womöglich den flächendeckenden Ausbau des Bildungsangebots für behinderte Menschen...".

Gegenwärtig findet am ehesten die räumliche und funktionale Integration statt, kaum jedoch personale und organisatorische Integration. Die Erwachsenenbildung in Deutschland ist weit davon entfernt der Realisierung des Normalisierungs-prinzips und des Integrationsmodells gerecht zu werden. Kooperationskurse und vor allem integrative Angebote sind in der Bundesrepublik noch rar. Laut Christian Lindmeier (2000: 17) ist die erste Forderung der integrativen Erwachsenenbildung in Bezug auf Menschen mit einer geistigen Behinderung, die nach flächendeckender Gewährleistung von räumlicher und funktionaler Integration. Im Sinne einer normalisierten Erwachsenenbildung sollen Bildungsangebote für Menschen mit Behinderung in Einrichtungen der allgemeinen Erwachsenenpädagogik stattfinden. Lindmeier versteht dies als ersten Schritt von dem aus eine weitergehende inhaltliche Kooperation der Fachleute hin zum integrativen Lernen stattfinden soll. Christian Lindmeier (2000: 205 ff) fordert daher die gesetzlich verankerte Gleichstellung behinderter Erwachsener in den Weiterbildungsgesetzen mit einheitliche gesetzlichen Regelungen und deren Umsetzung. Er betont die Notwendigkeit durch Öffentlichkeitsarbeit und Schnupperangebote Informationen über die integrative Erwachsenenbildung zu verbreiten bzw. Berührungsängste zu verringern. Darüber hinaus ist die Entwicklung geeigneter Materialien für die Bildung geistiger behinderter Erwachsener voranzutreiben sowie eigenständige Qualifizierungskurse für diesen Personenkreis anzubieten. Weiterhin fordert er, dass sich zielgruppenspezifisch Angebote inhaltlich und methodisch stärker an der allgemeinen Erwachsenenpädagogik orientieren sollten. (vgl. Lindmeier 2000: 205 ff)

Über die Autorin/den Autor
Alexandra May ist Diplom-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (FH). Zusätzlich studierte sie Erwachsenenpädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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