Die Notwendigkeit einer lebenslangen Bildung für Menschen mit geistiger Behinderung

Die Notwendigkeit einer lebenslangen Bildung für Menschen mit geistiger Behinderung

Im Folgenden werden die Gründe für die Legitimation einer lebenslangen Bildung für Menschen mit geistiger Behinderung anhand der von Georg Theunissen (2003: 52 ff) beschriebenen Aspekte dargestellt:

  1. Die fortschreitenden gesellschaftlichen Veränderungen fordern von jedem Menschen die Fähigkeit, sich auf ständig neue Lebenssituationen einstellen zu können. Menschen mit geistiger Behinderung fällt dies jedoch häufig schwer, so dass sie so genannte „bildende Hilfen" benötigen, die ihnen eine selbstständigere und flexiblere Lebensgestaltung ermöglichen, um so die gesellschaftliche Abhängigkeit auf ein Minimum zu reduzieren.
  2. Frühförderung und schulische Bildung gilt heute als ein Grundstein der Behindertenarbeit. Die berufliche Bildung jedoch beschränkt sich meist auf Menschen mit einer Lernbehinderung bzw. leichten geistigen Behinderung. Für schwerst- und mehrfach behinderte Personen enden die Bildungsangebote meist mit der Schulzeit, so dass die in der Schule mühsam erworbenen Fähigkeiten nicht erhalten bzw. erweitert werden können. Studien haben gezeigt, dass die höchste Lern- und Leistungsfähigkeit dieser Menschen zwischen dem 20. und 34. Lebensjahr liegt. Hier stellt sich die berechtiget Frage nach der Sinnhaftigkeit der vorangegangenen Bildungsbemühungen, wenn eine Weiterbildung nach der Schulzeit nicht angeboten wird.
  3. Eine Vielzahl der Menschen mit geistiger Behinderung benötigen spezifische Hilfen zum Erlernen ihrer Erwachsenenrolle. Im Sinne des Bildungskonzeptes von Wolfgang Klafki handelt es sich hierbei um den Erwerb von Schlüsselqualifikationen. Die Anforderungen und Aufgaben des Erwachsenenlebens zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, wie die Ablösung vom Elternhaus, das Wohnen in einer Wohneinrichtung, Arbeiten, Freizeitgestaltung, Partnerschaft usw. müssen begleitet und die Herausbildung der Handlungskompetenz gefördert werden.

Insbesondere werden schwer geistig behinderte Menschen von ihrer Umwelt nicht ernst genommen und oftmals wie Kinder behandelt, bevormundet und überbehütet. Die Chance sich als erwachsener selbstständiger Mensch mit Entscheidungs- und Handlungsautonomie zu entwickeln wird durch das Helfersystem (Eltern, Mitarbeiter der Behinderteneinrichtungen usw.) und die Systemzwänge vieler Institutionen sehr erschwert (Hospitalisierung). Die Aufgabe der Erwachsenenbildung wäre an dieser Stelle die Förderung des selbst bestimmten und eigenverantwortlichen Handelns.

Empowerment, Selbstbestimmung und Mitspracherecht in Bezug auf die alltägliche Lebensgestaltung stehen in der aktuellen Diskussion in der Behindertenarbeit hoch im Kurs. Bildungsarbeit der Erwachsenenpädagogik kann hier auf die Entfaltung dieser Rechte und Emanzipation abzielen. Erwachsenenbildung leistet in diesem Sinne „Eingliederungshilfe", d. h. ihr kommt u. a. die Aufgabe zu „Isolation zu durchbrechen und durch Bildungsangebote soziale Integration im Sinne einer verbesserten Interaktion zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen anzustreben." (Carroll 2000: 294).

Die aufgeführten Gesichtspunkte verdeutlichen die Notwendigkeit der Weiterbildungsangebote für diese Zielgruppe. Die Aufgabe der Erwachsenenbildung für behinderte Menschen ist nicht nur die Erhaltung und Erweiterung des Gelernten, sondern ebenso die Befähigung, selbstständig mehr Entscheidungen im täglichen Leben treffen zu können. Bildungsangebote bieten die Möglichkeit zur Selbsterfahrung, stärken das Selbstwertgefühl und das Selbstvertrauen. Da der Fokus der Bildungsangebote für Menschen mit geistiger Behinderung auf der Förderung der Selbstständigkeit und Selbstbestimmung der Teilnehmer liegt versteht sich Bildung hiermit also als Hilfe zur gesellschaftliche Teilhabe und Integration. Erwachsene Menschen mit einer Behinderung benötigen laut Georg Theunissen (2003: 54) „... zunächst einmal gezielte und fortwährende Bildungsangebote, um alltägliche Situationen, Anforderungen und stetige Veränderungen der Gesellschaft besser bewältigen zu können. Solche Angebote stellen Lern- und Lebenshilfen dar, die von den Betroffenen aus (...) und mit ihnen gemeinsam zu erschließen sind, wobei nicht davon ausgegangen werden kann, dass alle ihr Bildungsinteresse erkennen oder artikulieren sowie die Möglichkeit einer Weiterbildung selbständig nutze."

Über die Autorin/den Autor
Alexandra May ist Diplom-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (FH). Zusätzlich studierte sie Erwachsenenpädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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