Begriffserläuterung Geistige Behinderung

Begriffserläuterung Geistige Behinderung

Zunächst wird der Begriff „geistige Behinderung" ³erläutert, wobei eine eindeutige und allgemein akzeptierte Definition nicht existiert. Je nach medizinischen, psychologischen, soziologische oder pädagogischen Betrachtungsweise und Handlungsabsicht unterscheidet sich das Begriffsverständnis.

So sprechen medizinisch orientierte Definitionen von einer Minderung bzw. Herabsetzung der maximal erreichbaren Intelligenz. Nach dem Internationalen Klassifikationssystem psychischer Störungen (ICD-10) der Weltgesundheits-organisation (WHO 1990) wird die Erscheinung „geistige Behinderung" als Intelligenzminderung (F70-79) bezeichnet. Demnach lässt sich, rein auf die Intelligenz bezogen, eine geistige Behinderung als Steigerung und Erweiterung der Lernbehinderung verstehen. So steht bei den medizinischen Definitionen klar die Intelligenz der Menschen als Messstab für den Grad der geistigen Behinderung im Mittelpunkt der Begriffsbestimmung. Nach Heinz Bach (1974) liegt eine „Geistige Behinderung (.) vor, wenn die seelische - geistige Gesamtsituation eines Menschen auf Dauer und trotz optimaler erzieherischer Bemühungen den Rahmen dessen nicht überschreitet, was bei einem Intelligenzquotienten unter 60± 5 zu erwarten ist..." (Schramm 1992: 125). Jedoch ist laut Heinz Bach (1974) die alleinige Betrachtung des Intelligenzquotienten kein ausreichendes Kriterium um eine geistige Behinderung festzustellen. Er ist nur insofern von Interesse, als er ungefähre Aussagen über das vorab zu erwartende Lernverhalten erlaubt. „Die geistige Behinderung äußert sich als mehr oder weniger deutliche Verminderung bzw. Einschränkung der Lernfähigkeit des betroffenen Menschen. Intellektuelle Fähigkeiten werden nicht oder nur verlangsamt ausgebildet." (Schramm 1992: 125)

Aus pädagogischer Sicht gilt nach den Empfehlungen der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates (1974: 37) als „... geistig behindert, wer infolge einer organisch-genetischen oder anderweitigen Schädigung in seiner psychischen Gesamtentwicklung und seiner Lernfähigkeit so sehr beeinträchtigt ist, dass er voraussichtlich lebenslanger sozialer und pädagogischer Hilfen bedarf. Mit den kognitiven Beeinträchtigungen gehen solche der sprachlichen, sozialen, emotionalen und der motorischen einher. Eine »untere Grenze« sollte weder durch Angabe von IQ-Werten, noch durch Aussprechen einer Bildungsunfähigkeit festgelegt werden, da grundsätzlich bei allen Menschen die Möglichkeit einer Bildungsfähigkeit angenommen werden muss." Der Deutsche Bildungsrat distanziert sich somit von der Einteilung anhand der Intelligenzquotienten, dieser Ansicht schließt sich die Autorin an. Bei geistig behinderten Menschen handelt es sich um Personen, die in ihrer kognitiven Entwicklung beeinträchtigt sind, wodurch sie in unserer Gesellschaft auf vielfältige Weise in ihrer Entfaltung behindert werden und benachteiligt sind.

Als Weiterentwicklung und Anregung zum Umdenken in der Behindertenarbeit ist das neue Grundverständnis von Behinderung der WHO zu sehen, welches sich seit 1999 im Schema der ICIDH-2 [3]zeigt. Hierbei sind nicht mehr die Defizite, wie z. B. die Intelligenzminderung laut dem ICD-10, einer Person maßgeblich, sondern die persönlichen Fähigkeiten und die soziale Teilhabe. Demnach ist nicht mehr das Individuum gehandicapt, sondern vielmehr behindert die Gesellschaft den Prozess seiner persönlichen Entfaltung und das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe und ein selbst bestimmtes Leben.

Für eine geistige Behinderung gibt es laut Karlheinz Schramm (1992: 127 f) eine Vielzahl von möglichen Ursachen, die meist eine Kombination von organischen Funktionsstörungen mit Einflüssen aus dem Lebensumfeld (Anregungsmangel etc.) darstellt. Bei leichten Ausprägungen handelt es sich oft um eine Entwicklungsverzögerung, die wieder ausgeglichen werden kann. Schwerere Behinderungen lassen sie sich häufig auf organisch-genetische Schäden oder prä-, peri- bzw. postnatalen Faktoren zurückführen. Oftmals jedoch lässt sich die eindeutige Ursache nicht feststellen. In den meisten Fällen sind die geistig behinderten Menschen aufgrund ihrer Gesamtentwicklung und Lernfähigkeit lebenslang auf soziale, pädagogische und teilweise auf pflegerische Hilfe angewiesen. Dennoch ist kein Mensch so schwer geistig behindert, dass er nicht im gewissen Rahmen förderfähig wäre. Jeder Mensch kann sich demnach auf lebenslanges Lernen und neue Erfahrungen einlassen.

[3] International Classification of Impairments, Activities and Participation: A Manual of Dimensions and Functioning

Über die Autorin/den Autor
Alexandra May ist Diplom-Sozialarbeiterin/Sozialpädagogin (FH). Zusätzlich studierte sie Erwachsenenpädagogik an der Humboldt-Universität zu Berlin.

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